Unter Motorrad versteht man alle Fahrzeuge, die im Prinzip weniger
als vier Räder haben und von einem Motor angetrieben werden. Die
Räder müssen normalerweise den Boden berühren." Soweit das
Technik-Handbuch der OMK (Oberste Motorsport-Kommission).
Im Falle der von Christian Mende getunten Honda CBR 1100 XX,
ist das mit den Rädern am Boden so eine Sache. Denn das vordere
befindet sich vorwiegend in der Luft, unabhängig davon, ob der
erste, zweite oder dritte Gang eingespannt ist. Zudem war die
XX für den Proberitt auf mehr als 290 km/h übersetzt, was Fahrer
Wolfram Heger zu dem Warnhinweis veranlasste: "Vollgas geht im
Prinzip nur geradeaus!"
Bis zu meiner dritten Runde im Motodrom Rijeka mochte ich ihm nicht
glauben. Das etwas rauh laufende Kraftwerk bietet selbst in den
oberen Gängen sattes Drehmoment. Und die Gasdosierung erledigt
sich so handzahm, daß ich mich zwar auf einem sehr starken, aber
keineswegs unfahrbar starken Motorrad wähnte. Also ließ ich in
einer flüssigen Biegung den dritten Gang drin wie auf einer 750er.
Dann winkelte ich die XXL ab, peilte die Curbs am Kurvenscheitelpunkt
an und drehte auf Dreiviertelgas. Der Motor fauchte auf über
8000 Touren, der Hinterreifen rutschte seitlich weg, und die
spitze Verkleidungsnase stieg in den blauen kroatischen Himmel.
Ich fing das Monster kurz vor den Außencurbs wieder ein und
schwor mir, fortan auf Wolfram zu hören. Am Ende der Geraden
stehen gut 260 Sachen auf der Uhr. Im fünften Gang, den
sechsten hatte ich gar nicht mehr eingelegt bekommen.
Aus der friedvollen Super Blackbird wird ein Raubvogel
Selbst schnelle Serien-Tausender schaffen bis zum Bremspunkt nur
etwa 235 km/h. Die XXL ist also höchstens für Superbike Profis
ein Gewohnheitstier. "Ich hab' gleich gewußt, daß man aus der
1100er eine Rennmaschine machen kann." Tuner Christian Mende
spricht ein großes Wort gelassen aus. Schließlich ist er vom
Fach: Der Supersport-Vizemeister von 1993 weiß, wie ein Racer
funktionieren sollte. Doch eine Honda CBR Doppel-X mit original
252 Kilogramm und dem massiven Auspuffgeweih als Renner,
der im Seriensport bis 1200 Kubik alles niederbügelt? Schwer
vorstellbar. Erstaunlich, was schon ein wenig gelbe Farbe
bewirkt. Die Sebimoto-GFK-Verkleidung behält die Originalform
bei, lediglich das skurrile Doppelstocklicht weicht einem
linksseitigen Rundlämpchen. Zusammen mit dem gelben
Startnummernfeld auf der spitzen Nase wirkt die Super
Blackbird wie ein Raubvogel.
Die fette Abgasanlage, fast 20 Kilo schwer, muß einem von
Mende selbstentworfenen Krümmerfächer mit CBR 900-Endtopf
weichen. Diese Anlage gibt es mit TÜV; alle Änderungen am
Motorrad sind zulassungsfähig.
Die 1100er Serien Hondas bringen statt der vom Werk versprochenen
164 Pferde nur zwischen 147 bis 155 PS auf die Bahn. Wie konnte
Mende da gut 180 PS und ein Drehmoment von 140 Nm in den Big
Block pumpen? Einfach so: Kurbelwelle feinwuchten und somit
die beiden Ausgleichswellen überflüssig machen. Die Folge:
ungebremste Drehfreude bis 11 000/min und 3,6 Kilo
Gewichtsersparnis. Die Pleuel werden im Gewicht
angeglichen, die Kolben leicht nachgearbeitet. Das
Bohrung-/ Hub-Verhältnis bleibt unangetastet. Die Verdichtung
wächst von 11,0 auf 12,9, was der Motor problemlos
verkraftet - er braucht lediglich Eurosuper. Über
Details der Zylinderkopfbearbeitung schweigt sich der Meister aus.
Klar, dass die 4-in- 1 Anlage eine andere Bedüsung der
vier 42er Keihin-Vergaser erfordert. Aber das
Ansaugsystem, kein Ram-Air, reagiert heikel auf Eingriffe.
Airbox und Luftfiltereinsatz bleiben also reglementskonform
unberührt. "Die Ansaugluft muss wirbelfrei und kalt in der
Airbox ankommen. Überdruck ist nicht so wichtig", weiß
Christian Mende.
Stichwort Gewicht: Noch wiegt das Renntier 213 Kilogramm,
und zwar mit randvollem 22-Liter-Stahltank. Das heisst,
die CBR 1100 XX hat bereits durch die Ex und hopp
Methode Lampe, Plastikteile, Auspuff, Ständer usw.)
um rund 80 Pfund abgespeckt. Noch nicht genug. Fahrer
Wolfram Heger: Mit einem 16-Liter-Fass, einer
Kohlefaserverkleidung und ein paar Feinarbeiten sollten
wir auf knapp 200 Kilo runterkommen." Ein Zentner
weniger, als das Original wiegt.
Trotz der handlichen Lenkgeometrie wird die XXL unter
Zug etwas steif. Die endlose Schwinge verlängert nämlich
den Radstand auf 1450 Millimeter. Wolfram: "Das muss so sein,
sonst bewegt man sich nur noch auf dem Hinterrad" Beim Test-Bike
werkelte noch das Original-Federbein zwischen den hinteren
Umlenkhebeln. Besser passt ein extralanges, höhenverstellbares
Öhlins-Federbein.
Das Layout des Alu-Hauptrahmens ähnelt dem der CBR 900.
Die schwere 11 00er Gabel ersetzt Mende durch das gute
Pendant aus der 900er, was zugleich den Nachlauf von 100
auf 94 Millimeter verringert. Die 300er Vierkolbenbremsanlage
der 900er übernimmt er gleich mit,denn die serienmäßige
Dreikolben-Verbundbremse ist für den Renneinsatz untauglich.
Bei den 1000 Kilometern von Hockenheim funktionierte das
Fahrwerk der Mende Honda XXL tadellos: In der großen Klasse
fuhren Wolfram Heger und sein Partner Jürgen Müller im
Regen auf Rang zwei.
|